Physiker Mario Krenn: KI entwirft Experimente, die Menschen nicht verstehen
Im SPIEGEL-Gespräch erklärt der Quantenphysiker Mario Krenn (38, Professor für maschinelles Lernen in Tübingen), wie er "künstliche Wissenschaftler" baut, um die Forschung zu beschleunigen. KI könne Experimente vorschlagen, die menschliche Intuition übersteigen, weil sie riesige Suchräume unvoreingenommen durchsuchen kann (z.B. bei Quantenoptik-Aufbauten mit 50.000 Kombinationen).
Krenns Schlüsselerlebnis war 2014, als ein von ihm programmiertes KI-Programm über Nacht eine komplexe, kontraintuitive Lösung für ein Quantenexperiment fand ("solution.txt"), an dem sein Team wochenlang gescheitert war.
Weitere Erfolge:
- LIGO-Detektor: Eine KI entwarf einen Aufbau für den Gravitationswellen-Detektor LIGO, der theoretisch dreimal empfindlicher ist. Krenn gibt zu, dass sie das "große Bild" der Funktionsweise selbst nach einem halben Jahr Analyse nicht vollständig verstanden haben.
- Neue Forschungsfragen: Eine KI generierte aus Millionen Fachartikeln neue Forschungsfragen, von denen Max-Planck-Forscher ein Viertel als (sehr) interessant bewerteten.
Krenn betont, dass KI-Ergebnisse durch etablierte Physik-Software (ohne KI) überprüfbar sind, was "Halluzinationen" ausschließt. Er glaubt nicht, dass KI Studierende "dümmer" macht, da die Überprüfung der Ergebnisse weiterhin tiefes Fachwissen erfordert. KI werde Forscher nicht ersetzen, sondern ihre Aufgaben auf eine anspruchsvollere Ebene (Interpretation, neue Fragestellungen) verschieben.
Das Interview zeigt das Potenzial von KI in der Wissenschaft, lässt aber kritische Aspekte offen:
- Erklärbarkeits-Lücke: Dass selbst Spitzenforscher die Lösungen ihrer eigenen KI nicht verstehen, ist ein enormes Problem (Black-Box). Wenn wir nicht wissen, warum etwas funktioniert, können wir daraus keine neuen Theorien ableiten. Das ist eine "intellektuelle Resignation", die Krenn zwar nennt, aber deren Konsequenzen für den wissenschaftlichen Fortschritt (Verständnis vs. reine Anwendung) nicht tief genug diskutiert werden.
- Fokus auf Naturwissenschaften: Die Beispiele stammen aus Physik, Chemie und Biologie. Die Auswirkungen auf Geistes- oder Sozialwissenschaften, wo Ergebnisse schwerer "objektiv" überprüfbar sind, werden nicht thematisiert.
- Ökonomisierung der Forschung: Die Erwähnung von Start-ups wie Periodic Labs (300 Mio. Dollar) für automatisierte KI-Labore deutet eine starke Kommerzialisierung der Grundlagenforschung an, deren Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Wissenschaft nicht hinterfragt werden.
Dieses Interview zeigt die Zukunft der Wissensarbeit. Als dein jobfellow rate ich dir:
- Akzeptiere das Ende der Intuition: In vielen Bereichen (nicht nur der Physik) wird KI Lösungen finden, die deiner menschlichen Intuition widersprechen. Lerne, diesen "fremden" Lösungen zu vertrauen, wenn sie nachweislich funktionieren, statt sie reflexhaft abzulehnen.
- Werde zum "KI-Interpreten": Krenn sagt, die neue Forschungsfrage ist: "Wie können wir [die KI-Lösung] in eine für uns verständliche Sprache übersetzen?". Das gilt für jeden Job. Die Fähigkeit, komplexe KI-Outputs zu analysieren, zu interpretieren und für Menschen verständlich zu machen, wird eine der wichtigsten Schlüsselkompetenzen.
- Fachwissen bleibt Pflicht: Die Hoffnung, dass KI das Lernen erspart, ist falsch. Um KI-Ergebnisse zu überprüfen (was laut Krenn essenziell ist), brauchst du weiterhin tiefes Fachwissen. KI ersetzt nicht deine Expertise, sie setzt sie voraus.